
Die Last ablegen
In seiner Lebensregel gibt der Hl. Benedikt uns für viele Situationen des Lebens ein Bibelwort an die Hand, das helfen soll, diese Erfahrung, die wir gerade machen, gut zu leben. Für das Ende des Tages, das "Nachtgebet", ist das der Psalm 91:
"Wer im Schutz des Höchsten wohnt, der ruht im Schatten des Allmächtigen.
Ich sage zum HERRN: Du meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue.
Denn er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens.
Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht,
Schild und Schutz ist seine Treue.
Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten,
noch vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt.
Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen."
(Psalm 91,1-5.11.)
Spät am Tag noch alleine draußen in der Natur zu sein ist eine ganz eigene Erfahrung. Alles ist viel näher, unmittelbarer zu erleben als in unserem gewohnten Alltag: Die Schatten werden länger, die Rhythmen der Natur allmählich langsamer. Das Licht verfärbt sich, schwindet, geht woanders hin. Nach und nach verstummen die Vögel, noch später die Geräusche der Menschen; es wird dunkel und still. Das kann sogar beängstigend sein: mit dem Licht schwindet meine Sicherheit, und nicht nur um mich, sondern vielleicht auch in mir hat das Dunkel die Macht.
Benedikt weiß um diese inneren und äußeren Dunkelheiten; die vielen Lasten, die ich mit mir herumtrage, um die Gefährdungen, denen ich ausgesetzt bin. Und deshalb setzt er diesen Psalm ans Ende eines jeden Tages, als Zuspruch für die Nacht: Ein Gebet des Vertrauens, der Geborgenheit. Mit starken Bildern, die Zuversicht schenken: Ruhen im Schatten. Zuflucht. Burg. Schutz unter mächtigen Schwingen. Engel, die meine Wege behüten.
So geborgen in Gottes Schutz kann ich still werden und das Ende dieses Tages bewusst wahrnehmen.
Ich nehme mir ein paar Augenblicke Zeit und lausche in mich hinein:
Was klingt noch nach von dem, was heute war?
Was hat mich geschmerzt?
Was hat mich gefreut?
Was ist mir gelungen?
Und was ging daneben?
Was dieser Tag bisher gebracht hat, ist nun vorbei.
Ich schaue ihn wohlwollend noch einmal an und sage mir:
So, wie er war, dieser Tag, lege ich ihn in deine Hände, Gott.
Und ich lege auch das in deine Hände, was von diesem Tag noch bleibt. Ich überlasse ihn – und mich – dir.
Und vielleicht, ja vielleicht, werde ich dich im Abendwind spüren, der mir übers Haar streicht, wie die Berührung eines geliebten Menschen.
Vielleicht, ja vielleicht, hast du der Dunkelheit geboten, mich zu verbergen vor den Blicken der Menschen, damit ich die Trauer zulassen kann, die ich tagsüber nicht zu zeigen wage.
Vielleicht, ja vielleicht, willst du im Mondlicht sanft mich berühren und mir ein Licht schicken, das nicht schmerzt.
Darum gehe ich ohne Angst in diese Nacht.
Du gehst mit mir und segnest mich und die Meinen. Darauf vertraue ich. Amen.
Bibeltext: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart.
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